Schuld & Kirche

Schuld & Kirche

 

Kann denn Kirche schuldig sein? Darüber herrscht in der Theologie keine Einigkeit. Dass Gläubige, die Glieder der Kirche, Sünder*innen sind und Schuld auf sich laden, ist unumstritten. Doch kann Kirche auch als Subjekt schuldig werden? Täterin sein?

Den Bedarf eines neuen Verständnisses von Schuld und Sünde, das nicht nur der individuellen, sondern auch den strukturell-systemischen Dimensionen gerecht wird, haben relationale, postkoloniale, queere und feministische Theologien sowie die Befreiungstheologie bereits aufgezeigt. Auch unterstützt die bisherige Forschung zu diesem Thema die These, dass die Stilisierung und Überbetonung der Heiligkeit der Kirche zu einer Blindheit gegenüber der eigenen Sündigkeit und Schuldigkeit führt. Aus der fehlenden Kompetenz, diese Aspekte zu integrieren, folgt unweigerlich ein Ignorieren oder sogar aktives Leugnen der Schuld der Kirche. Nur so kann an der verhängnisvollen Idee und dem vormodernen Verständnis einer einzig heiligen Kirche festgehalten werden. Obwohl die Brisanz einer ekklesiologisch-hamartiologischen Neuorientierung bekannt ist, fehlen überzeugende ekklesiologische Ansätze, die die Frage nach der Kirche als kollektives Subjekt und die damit verbundene Näherbestimmung und Integration der Heiligkeit und Sündigkeit der Kirche klären.

Unter Einbeziehung sozialwissenschaftlicher Theorien, die die Frage nach Kollektivsubjekten und systemischer Schuld beleuchten, arbeite ich an einem Verständnis von Schuld und Sünde, das nicht zu Entmutigung, Sprachlosigkeit und Unterdrückung führt, sondern vielmehr den relationalen und systemischen Dimensionen von Fehltaten gerecht wird, um so Wege für eine Anerkennung der Schuld und einen aktiven Umgang mit ihr zu ermöglichen. Es wird aufgezeigt, inwiefern das Verständnis einer sündigen Kirche (als Kollektivsubjekt) von der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils und deren Verhältnisbestimmung von Heiligkeit und Sündigkeit der Kirche gestützt ist. Denn in den Konzilsdokumenten wird die Dialektik der Heiligkeit und Sündigkeit der Kirche anerkannt, obgleich es ihr, der Kirche, selbst sechzig Jahre nach dem Konzil noch nicht gelungen ist, die gleichzeitige Existenz von beiden Eigenschaften in ihr Selbstverständnis zu integrieren. Praktische Relevanz erlangte dies zuletzt im Zusammenhang mit den sexuellen Gewalttaten durch Kleriker oder auch dem Finanzfiasko im Bistum Limburg – hier wurde die fehlende Kompetenz im Umgang mit kirchlichen Verfehlungen deutlich. Anhand konkreter Anwendungsfelder – insbesondere kirchlicher Schuldbekenntnisse und Vergebungsbitten – veranschauliche ich die Schuldfähigkeit und Verantwortung der Kirche veranschaulicht und präzisiere die Voraussetzungen für ekklesiale Umkehr (handlungspraktisch).

Fragen nach Schuld und Sünde (in) der Kirche sowie dem ErTragen von Schuld habe ich hauptsächlich im Rahmen meines Habilitationsprojektes „Schuld und Sünde (in) der Kirche“ sowie im Rahmen des von mir geleiteten Wissenschaftlichen Netzwerkes (DFG) „Schuld ErTragen. Die Kirche und ihre Schuld“ (2015–2018) bearbeitet.

Publikationen

 

2019

  • Julia Enxing: „… und erlöse uns von dem Bösen“. Hoffnung auf Erlösung und ihre gesellschaftliche Relevanz, in: Julia Enxing/Dominik Gautier (Hg.): Satisfactio. Über (Un-)Möglichkeiten von Wiedergutmachung. Beihefte zur Ökumenischen Rundschau 122, Leipzig 2019, 331–345.

  • Julia Enxing: Hat die katholische Kirche einen Erbschaden? Theologin Julia Enxing über Schuld und Sünde, in: Publik-Forum 6/2019, 38–39.

  • Julia Enxing/Dominik Gautier (Hg.): Satisfactio. Über (Un-)Möglichkeiten von Wiedergutmachung. Beihefte zur Ökumenischen Rundschau 122, Leipzig 2019.

2018

  • Julia Enxing: Schuld und Sünde (in) der Kirche. Eine systematisch-theologische Untersuchung. Ostfildern 2018. [Habilitationsschrift]

  • Julia Enxing/Jutta Koslowski (Hg.): Confessio. Schuld bekennen in Kirche und Öffentlichkeit. Beihefte zur Ökumenischen Rundschau 118, Leipzig 2018.

2017

  • Julia Enxing/Katharina Peetz (Hg.): Contritio. Annährungsversuche an Schuld, Scham und Reue. Beiheifte zur Ökumenischen Rundschau 114, Leipzig 2017.

2016

  • Julia Enxing/Stephan Jütte: Sünde. Zur theologischen Relevanz eines strapazierten Deutungsbegriffs, in: Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte 11 (2016), online unter: http://universaar.uni-saarland.de/journals/index.php/tg/article/view/922/968.

  • Julia Enxing: Rezension von: Bernhard Knorn: Versöhnung und Kirche. Theologische Ansätze zur Realisierung des Friedens mit Gott in der Welt, Frankfurter Theologische Studien, Münster 2016, in: Theologische Literaturzeitung 141/12 (2016) 1411–1413. (Rezension)

2015

  • Julia Enxing (Hg.): Schuld. Theologische Erkundungen eines unbequemen Phänomens, Ostfildern 2. Auflage 2015. [Rezensiert von: Irene Leicht, in: Christ in der Gegenwart 21 (2015) 234; Tobias Braune-Krickau, in: zeitzeichen 9 (2015) 63–64; Wolfgang Baum, in: Theologische Revue 112/3 (2016) 228–229.]

  • Julia Enxing: Schuld zur Sprache bringen: Eine Betrachtung des Schuldbekenntnisses Johannes Pauls II., in: Julia Enxing (Hg.): Schuld: Theologische Erkundungen eines unbequemen Phänomens, Ostfildern 2. Auflage 2015, 211–233.

  • Julia Enxing: Schuld und Sünde in Marjorie Suchockis Werk The Fall to Violence, in: Ulrike Link-Wieczorek (Hg.): Verstrickt in Schuld, gefangen von Scham? Neue Perspektiven auf Sünde, Erlösung und Versöhnung, Neukirchen 2015, 111–125.

  • Julia Enxing: Rezension von: Peter Fendel/Benedikt Kern/Michael Ramminger (Hg.): Tun wir nicht, als sei alles in Ordnung! (EG 211) Ein politisch-theologischer Kommentar zu Evangelii Gaudium. Münster: Edition ITP- Kompass, Bd. 17, 2014, in: Stimmen der Zeit 9 (2015) 644–645. (Rezension)

2014

  • Julia Enxing/Ulrike Link-Wieczorek: Kirche – Heilige oder Sünderin? Überlegungen zur Realität von Schuld und Sünde inmitten der Heilswirksamkeit Gottes, in: Ökumenische Rundschau 63/2 (2014) 182–200.

2013

  • Julia Enxing: Rezension von: Anja Middelbeck-Varwick: ‚So lauert die Sünde vor der Tür‘ (Gen 4,17). Nachdenken über das Phänomen der Fehlbarkeit. Frankfurt: Peter Lang, 2011, in: Theologische Revue 109/6 (2013) 499–501. (Rezension)

  • Julia Enxing: Rezension von: Rainer Bucher: …wenn nichts bleibt, wie es war. Zur prekären Zukunft der katholischen Kirche. Würzburg: Echter, 2012, in: Theologische Revue 109/4 (2013) 337–339. (Rezension)

2012

  • Julia Enxing: Rezension von: Susan Shooter: How Survivors of Abuse Relate to God: The Authentic Spirituality of the Annihilated Soul. Farnham/Burlington: Ashgate, 2012, in: Theologische Revue 109/3 (2013) 248– 250. (Rezension)